
Always-on? Wie ständige Erreichbarkeit unsere Produktivität zerstört – und was wirklich hilft
, 5 min Lesezeit

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Ein Ping hier, eine Mail dort, Slack im Hintergrund, WhatsApp auf dem Handy: Für viele Beschäftigte gehört es längst zum Alltag, jederzeit erreichbar zu sein. Was nach Engagement aussieht, hat in Wahrheit einen hohen Preis. Dauerhafte Erreichbarkeit unterbricht den Fokus, erhöht Stress und senkt langfristig die Produktivität. Studien zeigen, dass dieses Always-on-Verhalten mehr kostet als es bringt – für Mitarbeitende ebenso wie für Unternehmen.
In diesem Artikel schauen wir uns an, warum ständige Erreichbarkeit gefährlich ist, welche psychologischen und gesundheitlichen Folgen sie hat und warum gerade jetzt eine Kultur der klaren Grenzen so wichtig ist. Außerdem gebe ich dir konkrete Strategien mit, wie du deine eigene Aufmerksamkeit schützt – und welche Soft Skills dir dabei helfen.
Die Digitalisierung hat den Arbeitsplatz revolutioniert. Dank E-Mail, Messenger und mobilen Endgeräten können wir von überall aus arbeiten. Doch der Gewinn an Flexibilität bringt auch eine Schattenseite: Das Gefühl, immer verfügbar sein zu müssen. Eine Studie der EU-Agentur Eurofound (2022) zeigt, dass fast die Hälfte der Beschäftigten in Europa außerhalb der regulären Arbeitszeiten erreichbar ist – oft ohne klare Regelungen.
Das Problem: Erreichbarkeit unterbricht nicht nur Erholung, sondern auch Arbeitsprozesse. Eine Meta-Analyse in der Psychological Science belegt, dass Unterbrechungen die kognitive Leistung deutlich reduzieren. Jedes „kurze Reagieren“ kostet mentale Ressourcen und erzeugt sogenannte Aufmerksamkeitsreste – Gedanken, die nach der Unterbrechung an der vorherigen Aufgabe kleben bleiben. Wer also ständig auf Pings antwortet, arbeitet faktisch im Dauer-Modus des Task Switching.
Stress und Erschöpfung. Ständige Erreichbarkeit verhindert echte Pausen. Studien zeigen, dass Beschäftigte, die regelmäßig auch nach Feierabend auf Mails reagieren, höhere Cortisol-Werte (Stresshormone) aufweisen (PubMed). Das Risiko für Burnout steigt, wenn Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.
Produktivitätsverluste. Statt effizienter zu werden, sinkt die Leistung. Forschende an der University of California fanden heraus, dass es im Schnitt 23 Minuten dauert, um nach einer Unterbrechung wieder voll im ursprünglichen Arbeitsfluss zu sein (Gloria Mark et al., 2008). Wer also alle paar Minuten Mails checkt, verliert über den Tag hinweg Stunden an echter Konzentrationszeit.
Work-Life-Balance. Eine Untersuchung der Eurofound (2023) belegt, dass klare Regeln zur Nichterreichbarkeit die Arbeitszufriedenheit signifikant erhöhen. Beschäftigte mit definierten Ruhezeiten berichten von besserer Erholung und weniger Stresssymptomen. Ohne solche Regeln bleibt die psychologische Last: das Gefühl, immer auf Abruf zu sein.
Teamdynamik. Wer jederzeit erreichbar ist, setzt implizit auch andere unter Druck. Eine OECD-Studie (2023) zeigt, dass unklare Erreichbarkeitsregeln das Vertrauen in Teams belasten. Mitarbeitende fragen sich: Muss ich auch reagieren, wenn der Chef abends noch Nachrichten schreibt?
Hybrid Work und Homeoffice. Seit der Pandemie ist das Arbeiten von zuhause Normalität. Damit verschwimmen Grenzen zwischen Job und Privatleben stärker als je zuvor. Mal eben eine Mail beantworten oder eine kurze Teams-Nachricht nach Feierabend? Das summiert sich schnell zu einer Kultur der Dauererreichbarkeit.
Politische Debatte. In mehreren EU-Ländern gibt es inzwischen gesetzliche Regelungen zum Right to Disconnect. Frankreich war Vorreiter, Spanien, Italien und Belgien haben nachgezogen. Auf EU-Ebene läuft die Diskussion, ob ein Recht auf Nichterreichbarkeit unionsweit verankert werden sollte (EU-Parlament, 2021). Das zeigt: Das Thema ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein arbeits- und gesellschaftspolitisches.
KI und Automatisierung. Während Maschinen Routineaufgaben übernehmen, wird von Menschen erwartet, dass sie hochwertig arbeiten: kreativ, komplex, strategisch. Genau das erfordert Fokus und Erholung – nicht Dauerunterbrechungen. Die Fähigkeit, Grenzen zu setzen und konzentriert zu bleiben, wird zum entscheidenden Karrierefaktor.
Ständige Erreichbarkeit ist kein Naturgesetz. Sie entsteht durch unklare Erwartungen, fehlende Regeln und individuelle Gewohnheiten. Es gibt konkrete Ansätze, um das Muster zu durchbrechen:
1) Klare Zeitgrenzen. Definiere feste Arbeits- und Ruhezeiten – und halte dich daran. Lege das Handy bewusst weg, wenn dein Arbeitstag endet. Viele Führungskräfte unterschätzen, wie stark ihr Verhalten als Signal wirkt: Wer nachts Mails verschickt, sendet implizit den Auftrag „Antworten ist erwünscht“.
2) Kommunikationshygiene. Nicht jeder Kanal ist für jede Nachricht nötig. Vereinbare mit deinem Team: Welche Infos gehören in den Chat, welche in die Mail, welche ins Projekt-Tool? So verhinderst du den ständigen Strom an Unterbrechungen.
3) Status sichtbar machen. Nutze Abwesenheitsnotizen, „Nicht stören“-Modi oder Kalendereinträge, um klar zu signalisieren: Jetzt nicht erreichbar. Studien zeigen, dass sichtbare Abgrenzung die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass dich jemand stört (PubMed).
4) Pausen schützen. Plane bewusst Phasen ein, in denen du weder Mails noch Chats checkst. Schon zwei bis drei solcher Blöcke pro Tag erhöhen Konzentration und Gelassenheit.
5) Soft Skills trainieren. Methoden helfen, doch entscheidend sind Kompetenzen, die du in dir selbst entwickelst:
Always-on mag modern klingen, doch in Wahrheit ist es ein Rezept für Erschöpfung und sinkende Qualität. Studien zeigen: Ständige Erreichbarkeit macht nicht produktiver, sondern ineffizienter und ungesünder. Gerade in einer digitalisierten Arbeitswelt, in der wir komplexe, kreative Aufgaben bewältigen müssen, ist Fokus der wahre Erfolgsfaktor.
Ausblick für Skillzeit-Leser: Im Skillbook findest du Methoden und Übungen, mit denen du deine Selbststeuerung und Konzentrationsfähigkeit trainierst. Es geht nicht darum, einfach offline zu gehen, sondern bewusst mit Aufmerksamkeit und Energie umzugehen. Denn wer klare Grenzen setzt, gewinnt nicht nur Zeit, sondern auch Wirkung im Job.